Ein Abschied

Ein Abschied

Papa,

ich schreibe Dir jetzt, wo Du schon so lange tot bist. Gerne hätte ich das früher getan, aber ich habe es nicht geschafft. Zu verletzt und wütend war ich.

Die Wut habe ich lange gebraucht, um innerlich zusammenzuhalten und nicht auseinanderzufallen. Du hattest diese Wut nicht verdient, nicht so. Denn Ihr habt in der Zeit, in der ich so wütend war – mein halbes Leben – nichts falsch gemacht, nichts wichtiges jedenfalls.

Nein, die Wut war dafür da, einigermaßen intakt bleiben zu können. Mein unheilbar verletztes Seelenleben irgendwie am zerfasern zu hindern. Das habe ich nie erklären können, Euch nicht und mir nicht.

Für manches von dem, was diese Verletzungen verursacht hat, tragt Ihr die Verantwortung (aber nicht die Schuld), für anderes nicht – ich bin mir wohl bewusst über die Schmerzen, die Ihr selber trugt und die Ihr mir weitergegeben habt aus Unfähigkeit, damit etwas anderes zu tun.

Ich habe mein bestes getan, in meinem Leben einen Teil der Last abzutragen, die ihr mir vererbt habt – was wiederum weniger war, als man Euch mitgegeben hat. Dieses Leid kann nur langsam abgetragen werden, Generation für Generation, und auch meine Kinder haben daran zu tragen. Auch sie tragen schwer daran und auch ich muss mit der Verantwortung leben, ihnen so viel Leid weitergegeben zu haben, das andere verursacht haben, die ich nicht einmal kenne.

Ich danke Dir für Deine Liebe, die bisweilen zu sehen war. Für Deine Loyalität. Für Dein Einstehen für mich, auch wenn Du die wenigsten meiner Entscheidungen in Ordnung fandest. Deine harten Werturteile, Deine Angst, übertrumpft zu werden, Deine Angst vor Neuem haben es mir schwer gemacht. Darauf mag ich gerne verzichten, das darfst Du behalten. Bitte nimm es wieder mit, ich brauche es nicht mehr.

Heute gehe ich meinen eigenen Weg. Ich mache viele Fehler, aber ich versuche, zu leben, so gut es eben geht.

Bis bald, wir sehen uns

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